Die Allgemeine Relativitätstheorie erklärt die Gravitation dadurch,
dass Ansammlungen von Masse und Energie die Raumzeit krümmen. Das
führt dazu, dass Massen Licht ähnlich wie eine Sammellinse ablenken:
Sie krümmen Lichtstrahlen zu sich hin (Bild rechts).
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Durch die Ablenkung von Lichtstrahlen von ihrer sonst geraden Bahn
kann es zu Mehrfachbildern kommen, weil Lichtstrahlen nun auf
mehrfache Weise um Massen herum laufen können. Außerdem ist die
Ablenkung differenziell, d.h. Lichtbündel können verformt oder
gebündelt werden, wenn sie Massen passieren. Verstärkung, Abschwächung
und Verzerrung der beobachtbaren Bilder sind die möglichen Folgen.
Dieser Gravitationslinseneffekt ist an astronomischen Objekten aller
Massenskalen beobachtbar. Sterne können Mehrfachbilder erzeugen, deren
Winkelabstand im Bereich von Mikro-Bogensekunden liegt. Solche
Bildaufspaltungen sind nicht beobachtbar, wohl aber die Verstärkung,
die damit einhergeht. Auf diese Weise können Objekte entdeckt werden,
die etwa die Masse von Sternen haben, aber nicht oder nur sehr schwach
leuchten. Mithilfe dieses Mikrolinseneffekts wurde z.B. nachgewiesen,
dass es in der Umgebung unserer Milchstraße dunkle, kompakte Objekte
gibt.
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Galaxien können Mehrfachbilder mit Winkelabständen im Bereich von
Bogensekunden produzieren. Die erste Gravitationslinse überhaupt, die
1979 entdeckt wurde, ist ein Beispiel dafür: Der Quasar QSO 0957+561
(Bild rechts) wird von einer Galaxie in zwei Bilder mit einem
Winkelabstand von 6 Bogensekunden aufgespalten.
Inzwischen sind Dutzende solcher Mehrfachquasare bekannt. In einigen
davon treten Vierfachbilder in komplizierten Konfigurationen auf (Bild
unten). Diese Bilder können dazu verwendet werden, die Massen und
Massenverteilungen der Galaxien genau zu vermessen.
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Die Wege, die das Licht von der Quelle zurücklegen muss, sind für die
einzelnen Bilder eines mehrfach abgebildeten Quasars in der Regel
verschieden. Wenn die Quelle veränderlich ist, wie das bei vielen
Quasaren der Fall ist, treten die Veränderungen in den Bildern zu
verschiedenen Zeiten auf. Wenn ein Modell der Massenverteilung in der
Gravitationslinse konstruiert werden kann, lässt sich aus dem
Laufzeitunterschied berechnen, wie groß die Hubble-Konstante ist. Man
kann damit kosmologische Entfernungen kalibrieren.
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Auch
Galaxienhaufen können als
Gravitationslinsen wirken. Sie enthalten einige 100 bis etwa 1000
Galaxien, bestehen aber im wesentlichen aus Dunkler Materie. Manche
Galaxienhaufen können stark verzerrte Mehrfachbilder entfernter
Galaxien erzeugen, die dann als bogenförmige Gebilde (
arcs)
erscheinen (rechts im Bild der Galaxienhaufen MS 2137). Dieser Effekt
erlaubt einerseits Aussagen über die Massenverteilung der
Galaxienhaufen, aber auch über das kosmologische Modell. Darüber
hinaus ermöglicht gelegentlich erst die Verstärkung durch
Galaxienhaufen, Eigenschaften weit entfernter Quellen zu
beobachten.
Aus der schwächeren Verzerrung sehr vieler Galaxien im Hintergrund von
Galaxienhaufen lässt sich die Verteilung ihrer Dunklen Materie
regelrecht kartieren. Dadurch werden Massenbestimmungen möglich, aber
auch Analysen der Struktur von Galaxienhaufen.

Das gesamte Universum wird durch ein Netzwerk filamentartiger
kosmischer Strukturen durchzogen, die Längen von einigen 10 Millionen
Lichtjahren erreichen. In den Schnittpunkten der Filamente liegen die
Galaxienhaufen. Diese größten kosmischen Strukturen üben ebenfalls
einen schwachen Gravitationslinseneffekt auf das Licht weit entfernter
Quellen aus (eine übertriebene Simulation zeigt das Bild links). Erst
in den letzten Jahren wurde es möglich, diesen Linseneffekt zu messen,
einerseits durch Verstärkungs-, aber hauptsächlich durch
Verzerrungseffekte. Diese so genannte Kosmische Scherung erlaubt es,
die Menge und Verteilung der Dunklen Materie im Universum zu bestimmen
und die Geometrie des Universums einzuschränken.
Viele weitere Anwendungen des Gravitationslinseneffekts wurden
inzwischen entwickelt. Dadurch, dass er allein durch die
Massenverteilung kosmischer Objekte bestimmt wird und weder von der
Art der Materie noch ihrem physikalischen Zustand abhängt, hat er sich
zu einem der vielfältigsten Werkzeuge in der extragalaktischen
Astrophysik und Kosmologie entwickelt.
Verantwortlich: Matthias Bartelmann